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Liebe Forenteilnehmer!
Am Wochenende bekam ich während des Einkaufs Kontakt zu einer Dame, welche sich von den selbsternannten ´Atlasprofs´ hat behandeln lassen. Bei ihren Erzählungen sah ich verräterisches Glänzen in den Augen. Laut Aussage dieser Dame hatte sich seit der Behandlung ihr Leben total verändert.
Ich nahm mir vor, mich über Atlasprofilax zu informieren. Speziell mein berufliches Interesse als Physiotherapeut war geweckt.
Die deutsche Homepage der Atlasprofs war wenig ansprechend, allerdings fand ich eine Liste der ´Behandler´ in Deutschland und versuchte, Kontakt aufzunehmen. Ich erreichte eine Dame in Baden-Württemberg und befragte sie über Atlasprofilax. Als ich begann, fachliche Fragen zu stellen (Welche Muskulatur wird behandelt? Wie erfolgt der Befund? Woher weiß man, welche Rotationsfehlstellung des Atlas in Relation zum Axis – 2. Halswirbel – in Kombination mit dem Dens axis und natürlich auch den Hinterhauptscondylen vorliegt?) war das Gespräch sehr schnell beendet. Ich erhielt einen Hinweis, mich mit der Leiterin von Atlasprofilax in Verbindung zu setzen, Frau Göhring.
Heute erhielt ich einen Anruf und kam zu dem zweifelhaften Vergnügen, mit Frau Göhring persönlich zu sprechen, welche auf mich am Telefon einen äußerst gehetzten Eindruck machte. Als sie erfuhr, dass ich ´vom Fach´ bin, begann ein regeltechtes Verkaufsgespräch (ich kam kaum zu Wort), Einwände versuchte sie, durch eingeübte Floskeln zu umgehen. Fachliche Fragen wurden oberflächlich und faktisch falsch beantwortet. Ich erkundigte mich über die Möglichkeiten, diese Technik zu erlernen und für meine Patienten einzusetzen. Was darauf folgte, war ernüchternd:
Kursdauer (für alle, also auch für Nicht-Mediziner): 1 Woche
Auflage: Der Seminarteilnehmer sollte ca 30 Leute mitbringen, an denen er die Behandlungstechnik mit dem notwendigen Gerät üben kann!
Kursgebühr: 19.000,00 Euro (Nein, ich habe mich nicht verschrieben!)
Frau Göhring sprach davon, dass die Technik nobelpreisverdächtig ist, dass damit alle bisherigen, medizinischen Kenntnisse über den Haufen geworfen werden und in Kürze der Erfolg von Atlasprofilax in Medien bekannt gemacht wird, was zwangsläufig zu einem ´Boom´ führt! Sie legte mir nahe, vor diesem ´Boom´ den Kurs zu belegen, da man mir nur so einen Gebietsschutz zusichern könne.
Das Ganze erinnert mich bis hierhin an die Taktiken von Scientology oder anderen Psychogruppen, deren großartige Worte man nicht zu ernst nehmen darf, deren Vorgehen aber mit Vorsicht zu betrachten ist!
So viel nur einmal zu den Hintergründen! Jetzt zu meiner fachlichen Stellungnahme:
Gerade die filigrane Halswirbelsäule wird von Medizinern und Therapeuten nur mit äußerster Vorsicht behandelt. Korrekt ist, dass speziell der Atlas (1. Halswirbel) in seiner Verbindung zum Axis (2. Halswirbel) in anatomischer Hinsicht eine Besonderheit darstellt. Zum einen findet man zwischen beiden Wirbeln keine Bandscheibe. Weiterhin besitzen beide Halswirbel keinen Wirbelkörper (corpus vertebrae), sondern eine gelenkige Dreh-Verbindung in Form eines zahnähnlichen Fortsatzes (Dens axis) am Axis, welcher in einer Gelenkfläche des Atlas (der Fovea dentis) liegt und von einem Band (dem ligamentum transversum atlantis) gehalten wird. Dadurch wird die Drehung des Kopfes ermöglicht. Reisst das ligamentum transversum atlantis, spricht man von einem Genickbruch.
Im Inneren der Halswirbelsäule verläuft eine Arterie (arteria vertebralis), welche für die Versorgung des Gehirns maßgeblich verantwortlich ist und welche hier ein besonderes Augenmerk verdient. Sie verläuft zum Schutz innerhalb der knöchernen Struktur, verlässt den Atlas am oberen Rand des Foramens und verläuft, nach einem Knick in einer Rinne bis zum Hinterhauptsloch, wo sie in den Schädel eintritt! Bei Fehlstellungen in der HWS kann diese Arterie durchaus eingeengt werden, wodurch die Blutversorgung nicht mehr optimal gewährleistet werden kann. Ein Phlebologe kann eine solche Problematik mit Hilfe einer Angiographie feststellen.
Bei Atlasprofilax versucht man beim ´Verkaufsgepräch´ eine anatomisch-pathologische Verbindung zwischen bsp. einem Beckenschiefstand, einer Skoliose u. ä. mit der Luxation des Atlas als Folge zu erklären. Man schreckt auch nicht davor zurück, einen verschobenen Atlas als ´von den Eltern vererbt´ zu deklarieren, was absoluter Humbug ist! Dabei geht man getrost davon aus, dass der Interessent keine medizinischen Kenntnisse aufweist und diese gewagten Aussagen nicht entkräftigen kann. Es ist zwar richtig, dass eine Beinlängendifferenz sich über das Becken und die gesamte Wirbelsäule auswirkt (man spricht dann von Beckenschiefstand und/oder Skoliose), dabei aber nicht nur der Atlas, sondern die gesamte knöcherne Struktur (alle Wirbel) mit den dazugehörigen Muskeln betroffen ist. Dadurch ist es selbst für einen Facharzt unmöglich, den Atlas einmalig und ohne erneutem Auftreten von Komplikationen zu korrigieren, da die restlichen Strukturen (Knochen, Muskeln und Bänder) den Atlas nach geraumer Zeit wieder in die alte (pathologische) Position bringen. Eine professionelle Korrektur ist also nur unter Einbeziehung aller Strukturen möglich und selbst dann ist eine dauerhafte ´Heilung´ nichts, was man dem Patienten versprechen kann und darf!
Soweit zur Anatomie, möglichst einfach erklärt!
Ich schrieb, dass Behandlungen der HWS nur von speziell ausgebildeten Ärzten und Therapeuten mit medizinischer Qualifikation durchgeführt werden können, da das Risiko einer Schädigung von Blutgefäßen, Wirbeln oder Nerven im Bereich der HWS eher vorhanden ist, als in den übrigen Bereichen der Wirbelsäule. Vor allen Dingen können Schädigungen der HWS dramatische Konsequenzen haben, beispielsweise eine Querschnittslähmung, sobald das Rückenmark betroffen ist. Nun stellen wir uns vor, dass eine arbeitslose Hausfrau einen Kredit aufnimmt, den Kurs der Atlasprofs besucht und dann, ohne jegliche medizinische Vorbildung, an Ihrer Halswirbelsäule arbeitet. Und dies, zu allem Überfluss, nicht mit den Händen (dank derer man Veränderungen in der Muskel-, Gelenks- oder Gewebsstruktur während der Therapie bei fachlicher Qualifikation erfühlen und die Intensivität entsprechend anpassen kann) sondern mit Hilfe eines Gerätes, welches manipulativ auf die HWS einwirkt. Bei dieser Vorstellung überkommt mich das eiskalte Grauen!
Mein Fazit:
Alles deutet darauf hin, dass hier ein großer (und auch gefährlicher) Hokus Pokus für viel Geld an den Mann gebracht wird. Da jede Therapie auf gewisse Art und Weise manipulativ auf die menschliche Psyche einwirkt und zweifellos auch etwas ´bewegt´ wird (“Es wurde spürbar an meiner betroffenen Struktur gearbeitet), ist ein Plazebo-Effekt in der Regel aller Fälle nicht auszuschließen.
Ich erinnere daran, dass man in einer deutschen Rheumaklinik Testreihen durchgeführt hat, wobei eine Gruppe Rheumapatienten Medikamente mit entsprechenden Wirkstoffen erhielt, die andere Gruppe bekam ein sogenanntes Plazebo verabreicht, welches zwar genau so wie das ´richtige´ Medikament aussah, allerdings keinerlei Inhaltsstoffe hatte. Bei beiden Gruppen wurde nach etwa zwei Wochen ein Rückgang der Entzündungen und eine Schmerzreduktion festgestellt. Die menschliche Psyche ist etwas Einzigartiges und der Körper ist zur Selbstheilung fähig! Eben nichts anderes geschieht bei Atalsprofilax, nur mit dem Unterschied, dass Menschen ohne nötiger Ausbildung ihre HWS (und vermutlich auch ihren Verstand) manipulieren.
Ich empfehle, dieses fragwürdige Angebot besonders kritisch zu betrachten und sich evtl. von einem Arzt Ihres Vertrauens beraten zu lassen.
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